- Finanzausgleich: Theoretische Grundlagen
- Finanzausgleich: Theoretische GrundlagenDer Fiskalstaat in Deutschland und vielen anderen Industrieländern ist kein monolithisches zentrales Gebilde. In der Bundesrepublik existieren mit Bund, Ländern und Gemeinden drei staatliche Ebenen. Hinzu kommen öffentliche oder halb öffentliche Haushalte wie die Sozialversicherungen und oberhalb der Bundesebene die EU, die in zunehmender Weise öffentliche Aufgaben erfüllt.Lokale öffentliche GüterIm Rahmen der finanzwissenschaftlichen Föderalismustheorie wird dieser vielschichtige Aufbau durch ökonomische Argumente begründet. Grundlegend ist dabei die Einsicht, dass lokale öffentliche Güter existieren. Dies sind Güter, die nur in Bezug auf einen Teil der Bevölkerung oder hinsichtlich einer bestimmten Region den Charakter eines öffentlichen Guts aufweisen, nicht aber in Bezug auf den Gesamtstaat. Die Verantwortung für die Finanzierung und Bereitstellung derartiger lokaler öffentlicher Güter sollte in einem föderalen System den untergeordneten Körperschaften zugewiesen werden. Dies hat den Vorteil, dass unterschiedliche regionale Präferenzen besser berücksichtigt werden können. Im Idealfall wird ein lokales öffentliches Gut in einer Körperschaft mit Steuerautonomie bereitgestellt, deren gesamte Einwohner gleichzeitig die alleinigen Nutznießer des Guts sind. Dadurch ist die Geltung des Äquivalenzprinzips gewährleistet, wonach die Nutzer eines öffentlichen Guts auch diejenigen sein sollen, die durch ihre Steuerzahlung zu dessen Finanzierung beitragen. Auch wenn die Realität des Föderalstaats von diesem Ideal abweicht, erlaubt eine ausdifferenzierte Föderalstruktur doch eine Annäherung an dieses Prinzip.Traditionelle Argumente für ZentralisierungAus diesen Zusammenhängen ergeben sich die traditionellen Argumente, die in der ökonomischen Föderalismustheorie für eine Zentralisierung angeführt werden. Eine Zentralisierung eines Politikfeldes sollte erfolgen, wenn Nutzen und auch Kosten der betreffenden öffentlichen Aktivität nicht weitgehend innerhalb des Gebietes der untergeordneten Körperschaft anfallen. Liegen substanzielle Spill-overs (positive oder negative Auswirkungen außerhalb der Körperschaft) vor, dann spricht dies für eine Verlagerung der Zuständigkeit nach oben oder zumindest für eine Koordination mit den Nachbarkörperschaften. Neben der allokativen Aufgabe (Bereitstellung öffentlicher Güter) kommen dem Staat distributive und stabilisierungspolitische Aufgaben zu. Im Hinblick auf die Distribution (Verteilung) wirft eine Zuständigkeit der unteren Körperschaften Probleme auf: Wenn z. B. die deutschen Bundesländer eigenständig Sozialhilfesätze und Steuerprogression für ihr Territorium bestimmen würden, so könnte dies zu einer Aushöhlung des Sozialstaats führen. Die Wohlhabenden würden die Bundesländer mit einer starken Umverteilung verlassen. Umgekehrt würden diese Bundesländer einen Zustrom von Menschen mit geringem Einkommen erleben. Die entstehenden Finanzierungsprobleme würden dazu zwingen, die Sozialhilfe zu senken und die Steuerprogression abzumildern. Auch für die Stabilisierungsaufgabe wird traditionell eine zentrale Zuständigkeit im Föderalstaat empfohlen. Wenn ein Teilstaat in einem wirtschaftlich verflochtenen Gesamtstaat eine isolierte antizyklische Konjunkturpolitik betreibt, bestehen geringe Aussichten auf Erfolg. Ein Großteil der expansiven Effekte wird in anderen Teilstaaten wirksam. Eine antizyklische Politik des Zentralstaats oder zumindest ein koordiniertes Vorgehen erscheint daher überlegen, gleichwohl die Machbarkeit einer aktiven Konjunktursteuerung grundsätzlich umstritten ist.Wettbewerbsföderalismus und Argumente für DezentralisierungIn der neueren Theorie des Wettbewerbsföderalismus, die stark von Erkenntnissen der Public-Choice-Schule beeinflusst ist, wird die traditionelle Betrachtungsweise der ökonomischen Föderalismustheorie um den Wettbewerbsaspekt erweitert. Dezentrale Zuständigkeiten weisen demzufolge v. a. den Vorteil auf, dass sie einen Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften erlauben. Dieser Wettbewerb übt in der Sichtweise der neueren Theorie einen heilsamen Druck auf die Politik aus, mit den Steuereinnahmen sparsam umzugehen und die Relation zwischen Leistung (Bereitstellung von öffentlichen Gütern) und Gegenleistung (Besteuerung) ständig zu verbessern. Genau wie auf privaten Märkten ist daher alles zu vermeiden, was diesen Wettbewerb behindern könnte. Eine Zentralisierung von Politikfeldern schränkt den Wettbewerb aber entscheidend ein. Ist diese erfolgt, dann können Haushalte und Unternehmen bei Unzufriedenheit mit den öffentlichen Leistungen nicht in einen anderen Teilstaat mit einer anderen Politik abwandern, weil auch dort die zentral gefällten Entscheidungen gelten. In diesem Sinne kann eine Zentralisierung von Kompetenzen innerhalb eines föderalen Staats wie eine Kartellbildung auf privaten Märkten interpretiert werden.
Universal-Lexikon. 2012.